Neuromarketing: Der Weg ins Gehirn des Kunden
Ein qualitativ gutes Produkt das einen Kundennutzen erfüllt, ist wichtig für dessen Verkaufserfolg. In einem Umfeld zahlreicher Produktalternativen reicht das jedoch schon lange nicht mehr aus. Wichtig sind auch guter Vertrieb und erfolgreiches Marketing. Dabei taucht ein Begriff immer häufiger auf: Neuromarketing.
Es soll auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse den Weg zum „Kaufknopf“ im Gehirn des Kunden weisen. Ob das wirklich funktioniert – insbesondere für den Markt der Bio-Produkte – und falls ja, wie, das haben wir Jan-Oliver Hess gefragt. Er ist Buchautor, Speaker und BrainBranded Communication Experte der Schweizer Agentur Nordjungs.
BIOFACH: Der Umsatz im Markt der Bio-Produkte wächst seit Jahren kontinuierlich. Machen die Bio-Hersteller besseres Marketing als die konventionellen Lebensmittelhersteller?
Jan-Oliver Hess: Die kontinuierliche Umsatzsteigerung im Markt der Bio-Produkte ist weniger eine Frage des mehr oder weniger gelungenen Marketings an sich, als vielmehr der konsequenten (Aus-)Nutzung des seit Jahren bestehenden Momentums für Bio- und Ökoprodukte. Es geht schließlich nicht alleine um die Herstellung und Verbreitung qualitativ hochwertiger Produkte, sondern – in einem nicht zu unterschätzenden Maße – auch darum, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, die richtige Konsumenten- bzw. Käufergruppe zu adressieren.
Seit Jahren schon konstatieren uns alle Statistiken, dass Käufer und Konsumenten Unternehmen hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung zunehmend in die Pflicht nehmen. Dies ist eine nachhaltige gesellschaftliche Bewegung – und längst nicht mehr nur ein Trend –, die sich auch in der stetig wachsenden Zahl an LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability, Anmerk. der Redaktion) niederschlägt, also Menschen mit einer umwelt- und sozialethischen Konsumhaltung. Kurz: Die Zeit könnte gerade für Bio- und Ökoprodukte nicht besser sein.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen spielen in der Bio-Branche eine entscheidende Rolle
Das scheinen auch immer mehr konventionelle Lebensmittelhersteller, -produzenten und -händler zu merken und bieten auch Bio-Marken oder Bio-Produkte an. Wie können sich die reinen Bio-Marken dagegen behaupten?
Konventionelle Lebensmittelhersteller und -produzenten – aber auch Discounter und Handelsmarken – haben einen enormen wirtschaftlichen Vorteil: Sie können aufgrund von Skaleneffekten, Marktmacht, Markenbekanntheit sowie effektiven und effizienten Vertriebswegen und -organisationen relativ schnell und mit überschaubaren Risiko Fuß auf dem für sie „neuen Terrain“ der Bio-Produkte fassen. Es gibt allerdings zwei wesentliche Aspekte, die in dieser Produktgruppe mit ihren Käufer- und Konsumententypologien ausschlaggebend sind und von reinen Bio-Marken besser, einfacher und überzeugender bedient werden können: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Diesen Vorteil gilt es im Hinblick auf die Positionierung, Markenarbeit und Marktkommunikation konsequent zu spielen.
Kann Neuromarketing diesen Vorteil heben und eine Chance sein, dass sich Bio-Produkte und -Marken gegenüber konventionellen abheben?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir kurz klarstellen, was Neuromarketing ist. In einer engen Definition wird Neuromarketing mit dem Einsatz von apparativen – technischen – Verfahren der Hirnforschung zu Marktforschungszwecken gleichgesetzt. Im Bewusstsein der Bevölkerung haben sich diesbezüglich insbesondere die beeindruckenden Bilder von „Gehirnen bei der Arbeit“ verbreitet, die man insbesondere mittels sogenannter Hirnscanner erzielt (fMRI: Functional-Magnet-Resonanz-Imaging).
In der erweiterten Definition, der auch wir folgen, wird der Begriff Neuromarketing umfassender verstanden, im Sinne einer Nutzung der vielfältigen Erkenntnisse der Neurowissenschaften sowie der Verhaltensökonomie, -biologie und -psychologie für das Marketing und insbesondere die Marktkommunikation. Dahinter verbirgt sich letztlich ein einfacher Denk- und Handlungsansatz, den wir BrainBranded Communication nennen – (Marketing- und Markt-)Kommunikation aus Sicht des Kunden(-gehirns). So gesehen kann es nur eine Antwort auf Ihre Frage geben: Ja, denn wer Menschen bewegen will, muss wissen, was sie bewegt.
Das sind die drei wesentlichen Erkenntnisse für erfolgreiches Neuromarketing
Wie kann man sich das vorstellen? Was passiert im Gehirn eines Kunden, der eine Kaufentscheidung trifft beziehungsweise treffen muss?
Die zurückliegenden „Dekaden des Gehirns“ haben uns ca. 95 Prozent unseres Wissens über unser Gehirn enthüllt. Für zahlreiche Entdeckungen gab es Nobelpreise und es kam zu drei ganz wesentlichen – heute weitestgehend unbestrittenen – Erkenntnissen:
1. So rational und vernunftgesteuert, wie wir glaub(t)en, sind wir nicht – der Homo oeconomicus ist eine Illusion;
2. Das eigentliche Entscheidungszentrum in unserem Gehirn ist das „Limbische System“, der Sitz unserer Emotionen;
3. Das Unbewusste ist weit bedeutender und wirkmächtiger als wir bisher annahmen, weswegen wir von den wesentlichen Entscheidungsvorgängen unseres Lebens auch nicht wirklich etwas mitbekommen.
Das ist auch der Grund, warum Menschen sehr schlecht darin sind, ihre wahren Beweggründe für ihr Verhalten zu erklären. Letztendlich rationalisiert unser Verstand nämlich nur die Entscheidungen, die ihm emotional-implizit vorgegeben wurden.
Als kurze Erfolgsformel könnte man sagen: Produkt-, Leistungs- oder Markenversprechen müssen mit dem jeweiligen Emotions-, Werte- und Motivraum des Adressaten anschlussfähig und „belohnend“ sein, dann steigt die Chance für einen Kauf oder sonstiges gewünschtes Verhalten.
Können Sie das konkretisieren: Auf welchem Weg können Marken auf das Kaufverhalten der Verbraucher Einfluss nehmen?
Neuromarketing ist mittlerweile seinen Kinderschuhen entwachsen und hat sich als feste und wirksame Disziplin für Marketing- und Marktkommunikation etabliert. Als vor mehr als 15 Jahren ein regelrechter „Neuro-Hype“ herrschte, glaubte man, dass Neuromarketing den direkten Weg ins Konsumentengehirn bereiten und zur Entdeckung des „Kaufknopfes“ im Kundengehirn führen würde. Dies ist – zum Leidwesen der Marketers und zum Glück der Verbraucher – nicht gelungen, da es diesen einen „Kaufknopf“ nicht gibt. Was wir aber heute über die Funktionsweise unseres im Durchschnitt 1,4 Kilogramm schweren und mit 86 Milliarden Neuronen vollgepackten Gehirns wissen, reicht, um im Marketing und der Marktkommunikation wirksam, das heißt verhaltensrelevant, agieren zu können.
Um im Bild zu bleiben: Es gibt nicht den einen, sondern hunderte „Kaufknöpfe“, die wir durch entsprechende Hinweise und Codes, Zeichen und Signale, emotionale Trigger, Nudges und viele andere Maßnahmen des Neuromarketings im weiteren Sinne aktivieren können. Als Beispiel sei an dieser Stelle das von Dr. Hans-Georg Häusel entwickelte und von der Gruppe Nymphenburg perfektionierte Limbic Modell genannt, mit dem ein durchgängiges Bewertungs-, Entscheidungs- und Navigationsmodell für Strategie, Positionierung, Produktgestaltung, Kommunikation und Kanäle zur Verfügung steht.
Daneben gibt es aber mittlerweile zahlreiche weitere Methoden, Modelle und Verfahren, die sich – partiell – hervorragend für die wirksame Marktkommunikation einsetzen lassen.
Gibt es Beispiele dafür, wie Neuromarketing in der Lebensmittelbranche eingesetzt wird?
Angewandtes Neuromarketing im weiteren Sinne hat sich mittlerweile wie ein unsichtbarer Layer über unseren Alltag gelegt, so dass wir es häufig schon gar nicht mehr bemerken. Ein Beispiel, das Sie alle kennen: Der Supermarkt. In einem durchschnittlichen Supermarkt buhlen mehrere 10.000 Produkte um unsere Aufmerksamkeit. Nun wissen wir aus der Forschung, dass Stress, Zeitdruck und Unübersichtlichkeit unseren Geldbeutel geradezu zunähen können. Daher ist in einem deutschen Supermarkt nichts dem Zufall überlassen:
1. Im Eingangsbereich begrüßt uns gesundes und appetitlich aussehendes Obst- und Gemüse.
2. Dadurch wird unser Stimulanz- und Genuss-System im Gehirn aktiviert und wir bekommen gute Laune – Zack ist der Einkaufsstress wie weggeblasen. Zugleich wird ein „Frischevorurteil“ aufgebaut, dass sich auf das übrige Sortiment erstrecken soll.
3. Die Anordnung der Warengruppen knüpft an unseren Essensritualen von Frühstück-Mittagessen-Abendessen-Snacken an und hilft uns bei der Orientierung.
4. Brotduft aus Backautomaten sorgt für Hunger und Entspannung und der überdimensionierte Einkaufswagen suggeriert uns, dass wir doch noch gar nicht so viel eingekauft haben und so weiter.
5. Bio-Produkte werden gerne auf Strohballen und in geflochtenen Körben dargeboten, gerne auch noch auf Naturholzboden und mit Kreidetafeln zur Auszeichnung. Alles Trigger für Natürlichkeit, Frische und Regionalität – das kann doch nur gut für meine Familie und mich sein.
Ertappt. Welche Voraussetzungen müssen denn erfüllt sein, um Neuromarketing erfolgreich einsetzen zu können?
Wer sich professionell mit dem Neuromarketing beschäftigt und seriös agiert, weiß eines: Neuromarketing stellt den Menschen tatsächlich in das Zentrum allen Denkens und Handelns. Nur wer ernsthaft versucht den Menschen – hier als Konsument und Käufer – und sein Verhalten zu verstehen und Produkte und Dienstleistungen aus Sicht dieser Zielgruppe anbietet, bedient ein immanentes Bedürfnis seiner Zielgruppe.
Nur dann, wenn die Marketingmaßnahmen und Marketingkommunikation mit dem individuellen Motiv-, Emotions- und Werteraum des Menschen übereinstimmen, kann Neuromarketing im weiteren Sinne verhaltensrelevant, das heißt wirksam, sein. Somit ist der Mensch nunmehr nicht mehr bloßes Mittel, sondern Mittelpunkt. Eine höhere Form der Wertschätzung – und zwar nicht im Sinne eines Customer Lifetime Values – kann es fast gar nicht mehr geben.
Wie geht man denn am besten vor, wenn man Neuromarketing einsetzen möchte?
Man sollte sich auf jeden Fall einen erfahrenen Berater an seine Seite holen, der als Sparringspartner für die ersten Fragen und Hoffnungen dient. Danach kann man recht gut die Chancen und Risiken eines Neuromarketing-Engagements einschätzen und weitere Maßnahmen ergreifen – die nicht zwangsläufig sehr zeit-, kosten- und ressourcenintensiv sein müssen. Neuromarketing im weiteren Sinne ist kein kurzfristiges „Pimpen“ der eigenen Unternehmens-, Produkt- oder Kommunikationsaktivitäten, sondern ein Denk- und Handlungsansatz, der konsequent und stringent etabliert werden sollte.
Hierzu bedarf es häufig zu Beginn dieses Approaches einer Modifikation des Mind-Sets. Ein willkommener Nebeneffekt daran ist, dass jeder darin involvierte Mitarbeiter nicht nur etwas über seinen Kunden lernt, sondern zugleich auch über sich selbst – insbesondere über die zahlreichen uns innewohnenden kognitiven Verzerrungen, Heuristiken und Denkfehler, mit denen wir so tagtäglich durch unser Leben navigieren.
Gibt es auch Ansätze für den (stationären) Handel oder ist Neuromarketing lediglich ein Thema für die Hersteller/Produzenten?
Ebenso wie auf Hersteller- und Produzentenseite sind die Ansätze für Neuromarketing im weiteren Sinne auch für den Handel nahezu unüberschaubar. Das Supermarkt-Beispiel hatte ich oben ja bereits erwähnt. Im stationären Handel und Point of Sale kann Neuromarketing im weiteren Sinne seine Stärke sogar noch besser ausspielen, da wir hier die Möglichkeit haben, alle Sinne des Konsumenten anzusprechen. Und aus der Forschung ist bekannt, dass die Kommunikation über verschiedene Sinne nicht additiv wirkt, sondern exponentiell. Diesen Effekt nennt man multisensorische Verstärkung (Multisensory Enhancement). Gerade im Lebensmittelbereich lassen sich also über:
1. visuelle (Licht, Bildsprache, Farben),
2. auditive (Musik),
3. haptische (Materialien, Möglichkeit zum Be-Greifen),
4. olfaktorische (Gerüche) und
5. gustatorische (Geschmack) Signale und Codes erstaunliche Erfolge erzielen.
Dies ist auch einer der großen – und vielleicht letzten – wirklichen Vorteile, den der stationäre Handel gegenüber dem Online-Handel hat.
Nehmen wir zum Abschluss noch einmal kurz die Verbrauchersicht ein: Ist Neuromarketing unlauter bzw. können ethische Grenzen überschritten werden?
Ein geradezu konstituierendes Merkmal des Marketings liegt in dem Ziel, das (Wahl- und Entscheidungs-)Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Beim Neuromarketing ist es nicht anders. Wer den Versuch der Beeinflussung von Menschen als Manipulation wertet, der könnte den Standpunkt der moralisch-ethischen Verwerflichkeit vertreten. Und natürlich: Dem (Neuro-)Marketing ist immer der Versuch der Manipulation immanent. Solange aber diese Beeinflussung nicht gegen das tatsächliche Emotions-, Werte- und Motivsystem des Menschen gerichtet ist – auch wenn ihm eine derartige Beeinflussung nicht bewusst ist –, ist Neuromarketing im weiteren Sinne weder gesetzeswidrig noch unlauter oder unethisch. Und wie ich bereits erwähnt hatte: Neuromarketing im weiteren Sinne kann nur dann verhaltensrelevant und wirksam sein, wenn es dem Credo folgt, dass der Mensch nicht Mittel, sondern Mittelpunkt ist.
Und zur abschließenden Beruhigung: Neuromarketing im weiteren Sinne kann niemanden zu einem Verhalten bewegen, dass er oder sie absolut ablehnt oder nicht will – es sei denn, mit purer Gewalt. Man sollte daher das Thema Neuromarketing im weiteren Sinne „umarmen“, um nicht nur ein tieferes Verständnis für die Methodik zu entwickeln, sondern auch sich selbst und seine „manipulativen Einfallstore“ besser kennenzulernen.
Danke für diese tiefen Einblicke.
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